Geschehnisse in St. Johannis

Mit Entsetzen verfolgen wir die Berichterstattung zu den Gewalttaten, die sich vorgestern Abend in Nürnberg ereignet haben. Drei Frauen wurden im Stadtteil Johannis angegriffen und durch Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Als Täter wird von einem Mann ausgegangen (vgl. http://www.nordbayern.de/…/drei-frauen-in-nurnberg-niederge…).
Viele Frauen* in Nürnberg sind durch die Ereignisse eingeschränkt oder haben Angst, schließlich handelt es sich bei den Taten um gezielte Gewalt gegen Frauen*.
Tatsächlich nimmt Gewalt gegen Frauen* in Deutschland nicht ab: Das Ausmaß hat sich seit 20 Jahren nicht verändert. Jede dritte bis vierte Frau* über 16 Jahren erlebt in ihrem Leben körperliche, sexualisierte oder psychische Gewalt (vgl. https://www.frauen-gegen-gewalt.de/…/gewalt-gegen-frauen-za…).
Bei Gewalt an Frauen* handelt es sich nicht um individuell pathologisches Verhalten und nicht um verstreute Einzeltaten. Gewalt an Frauen* ist in einen soziokulturellen Kontext eingebettet und damit ein gesellschaftliches, ein strukturelles Problem. Sie ist Ausdruck und Konsequenz von ungleichen Machtverhältnissen der Geschlechter. Kurz: Ein Ergebnis des Patriarchats.
Über die Gewalttaten, die sich am Donnerstag abspielten, wird derzeit bundesweit und gerade in Nürnberg viel diskutiert und gesprochen. Das liegt auch daran, dass sie im öffentlichen Raum stattfanden und die angegriffenen Frauen mit dem Täter vermutlich in keinerlei Beziehung standen.
Den weitaus größten Teil von Gewalt gegen Frauen* macht jedoch Gewalt aus, die im sozialen Umfeld der betroffenen Frauen* und in ihrem eigenen Lebensbereich geschieht.
Vielfach werden dafür Begriffe wie „häusliche Gewalt“ oder „familiäre Gewalt“ verwendet. Dadurch wird die Geschlechtsspezifik dieser Form von Gewalt verschleiert: Der Mann als in den meisten Fällen gewalttätiger Akteur bleibt unsichtbar, ebenso wie die Frau* als in den meisten Fällen von Gewalt betroffene Person. Außerdem wird gesellschaftlich-strukturell angelegte Gewalt in einen privaten Bereich verschoben und auf diesen beschränkt.
Indem die mediale Darstellung von Gewalt an Frauen* sich weitestgehend auf Taten im öffentlichen Raum beschränkt, wird darüber hinweggegangen, dass die größte Gefahr für Gewalt in den eigenen Beziehungen und der eigenen Wohnung angesiedelt ist.
Aus diesen Gründen sprechen sehr viele Frauen*, die Gewalt erfahren, mit niemandem über die erlebte Gewalt. Oftmals fühlen sie sich mit ihren Erfahrungen vollkommen allein. Scham und Angst hemmen sie, ihre Rechte einzufordern und Hilfe zu suchen.
Umso wichtiger ist es, auch nicht-öffentliche Formen von Gewalt gegen Frauen* immer wieder zum Thema zu machen und sie in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Es gilt, patriarchale Strukturen und Machtverhältnisse aufzuzeigen, die hinter dieser Gewalt stehen – und sie in aller Deutlichkeit zu bekämpfen.
In den letzten Jahren sind es insbesondere die Rechten, die Gewalt gegen Frauen zum Dauerthema machen. Gewalt gegen Frauen wird für rassistische Hetze instrumentalisiert, indem ein Zusammenhang zwischen nationaler oder wie auch immer gedachter Herkunft und Gewaltausübung behauptet wird.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Rechte sich Gewalt gegen Frauen* als Thema aneignet. Das Problem im Hinblick auf Gewalt an Frauen* ist nicht die Migrationsgeschichte von Tätern, sondern einzig und allein die patriarchale Struktur dieser Gesellschaft.
Gewalt gegen Frauen* muss daher Thema sein und bleiben – und zwar jede Form der Gewalt gegen Frauen*.